Der Kaiser hatte eine eigene Mondbetrachtungsveranda. Kaufleute beeindruckten Besucher mit üppigen Freiräumen in ihren Kontoren. Hinter abgenutzten Holzfassaden verbergen sich edle Teehäuser. Ein neuer Fotoband zeigt 14 Jahrhunderte japanischer Baukunst in einer spannenden Bilderreise.
Hamburg - Architektur ist Problemlösung. Es gibt Probleme, die sich an manchen Orten der Welt in den Vordergrund stellen und an anderen nicht. Erdbeben sind ein Beispiel dafür. Die japanische Architektur ist traditionell von einer rekonstruktionsfreudigen Leichtbauweise geprägt und hat wenig Hemmungen, historische Gebäude auch dann noch als authentisch zu begreifen, wenn sie komplett neu aufgebaut wurden.
Andere Aufgabenstellungen sind interkulturell nachvollziehbar: Wie ehrt man, was einer Gemeinschaft heilig ist? Wie kann ein Herrscherhaus wirkungsvoll repräsentieren? Wie lässt sich die Wehrhaftigkeit einer Burganlage mit ästhetischen Ansprüchen verknüpfen? Wie setzt sich ein Privatmann in Szene, und wie integriert man Natur in eine von Menschenhand geschaffene Szenerie?
Die faszinierende Welt, in die Yuichiro Edagawa die Leser und Betrachter seines Buches mitnimmt, ist, von dieser Warte aus gesehen, nur auf den ersten Blick fremd. Der Architekt hat Höhepunkte aus 14 Jahrhunderten japanischer Baugeschichte zusammengestellt und mit kurzen, klugen Texten versehen, die eine geschichtliche und gestalterische Einordnung der Bauwerke möglich machen.
Dabei hat Edagawa den Rahmen weit gesteckt: Gartenbaukunst spielt ebenso eine Rolle wie moderne Stadien und Verwaltungsgebäude, alte Bauernhäuser und bescheidene Schreine ebenso wie kaiserliche Anlagen, berühmte Pagoden, beliebte Wege und Brücken. Die Beispiele sind klug gewählt, weil sie wirklich repräsentativ sind und die Funktionsweise der jeweiligen architektonischen Problemlösung zeigen.
Oft ist das Verblüffende die auch optische Nähe der Lösung: Das japanische Bergdorf Toyama mit seinen dunklen Holzhäusern etwa ähnelt, flüchtig betrachtet, einer Schwarzwaldidylle: Grundsolide, bodenständige Bauweisen mit traditionellen Materialien.
Lauschige Freiluftflure und orangefarbene Tore
Spannend ist der Vergleich aber auch da, wo Unterschiede Rätsel aufgeben. Der pittoresk verschachtelte Großbau in Okinawa etwa wirkt mit seiner kleinteiligen Strukturierung wie ein Hotel oder eine Wohnanlage - er ist aber ein Rathaus, dessen Büros durch lauschige Freiluftflure verbunden sind. Die von Kanälen durchzogene Kaufmannsstadt Kurashiki hat eine ähnliche Anlage wie ihre niederländischen Pendants, aber eine völlig andere Ästhetik. Modern minimalistisch muten die historischen Geschäftsräume eines reichen Kaufmanns in Gifu an; wie ein modernes Kunstprojekt von Christo die eng hintereinander gesteckten, orangefarbenen Tore im Fushimi-Inari-Taisha-Schrein in Kyoto.
Und schließlich kann man Kontrapunkte auch zwischen japanischen Bauwerken finden. Das wehrhafte Schloss Himejijô in Hyôgo etwa trägt wegen seiner festlich-heiteren Anmut den Beinamen "Burg des weißen Fischreihers"; die Wehranlage Matsumoto-jô hingegen, in der gleichen Epoche erbaut, ist von schwarzer Strenge - und heißt deshalb "Krähenburg".
Edagawas Fotografien sind von derselben handwerklich perfekten Schlichtheit, die die verbindende Klammer der von ihm bevorzugten architektonischen Formensprache ist; sie zeigen, was gemeint ist, fokussieren auf das Wesentliche und lassen so dem Dargestellten Raum zur Entfaltung seiner eigenen Ästhetik, statt eine zweite darüberzulegen. Die Bilderreise durch die historischen Bauten Japans wird so zu einer Besichtigung unter kundiger Führung - und macht richtig Spaß.
Kühner Schwung: Kenzô Tanges Sporthalle für die Olympischen Spiele in Tokio wurde 1964 gebaut. Die Hängedach-Stahlkonstruktion bietet Platz für 15.000 Menschen und machte Tange international bekannt.
Wehrhafte Eleganz: Die Burg Himejijô in Hyôgo wurde als erstes japanisches Bauwerk in die Unesco-Weltkulturerbeliste aufgenommen. Nach nur acht Jahren Bauzeit 1609 fertiggestellt, wurde die Wehranlage wegen ihrer Schönheit auch "Burg des weißen Fischreihers" genannt.
Wie aus dem Bilderbuch: So stellt man sich eine japanische Pagode vor. Das fünfstöckige Bauwerk in einem Vorort von Kyoto ist die älteste erhaltene Pagode in Japan. Sie wurde 951 für Kaiser Daigo erbaut.
Wasserburg: Der Graben diente der 1596 errichteten Burg Matsumoto-jô als Verteidigungselement. Der wehrhafte Charakter der Anlage zeigt sich in ihrer Formensprache. Der Turm, der nach außen hin fünf Stockwerke zu haben scheint, hat innen über der zweiten noch eine geheime sechste Etage, in der sich die Soldaten versammeln konnten.
Nüchterne Anmutung: Für ungeschulte westliche Augen liegen Form und Inhalt hier weit auseinander - es handelt sich um ein Vergnügungsviertel. Allerdings ein historisches. Higashi Kuruwa in Kanazawa wurde 1820 gegründet, die Straßen werden von Teehäusern gesäumt.
Puristischer Luxus: Innenansicht eines klassischen Ochaya, eines Teehauses, in Higashi Kuruwa
Landschaftsarchitektur in Reinform: Gartenbau gilt in Japan als eigenständige Kunstform. Die perfekt angelegten Gärten des Adachi Museum of Art in Shimane rangierten vier Jahre in Folge unangefochten auf Platz eins der renommierten Liste von über 700 Gärten der amerikanischen Zeitschrift "Journal of Japanese Gardening".
Geisha-Bezirk: Gion in Kyoto ist eines der berühmtesten Vergnügungsviertel in Japan. Die historischen Holzbauten sind bei geringer Breite bis zu 20 Metern tief - Folge der Tatsache, dass in früheren Zeiten die Breite der Hausfront als Grundlage der Besteuerung diente.
Großer Wurf: Das Nationale Kunstzentrum in Tokio besteht aus sieben Hallen von je 2000 Quadratmetern Grundfläche. Architekt Kishô Kurokawa verband organische Formen mit ökologischem Anspruch.
Schwungvoll übers Wasser: Die 1673 errichtete Kintaikyô-Brücke wurde 1950 bei einem Taifun stark beschädigt und mit Originaltechniken wieder aufgebaut. Sie gilt als eine der drei schönsten Brücken in Japan.
Handel und Wandel: Dies ist das Haus eines reichen Kaufmanns in Gifu. Der hier gezeigte Teil des Innenraums wurde geschäftlich genutzt. Strebebalken und Säulen sollten die Zuverlässigkeit des hier residierenden Handelspartners ins Bild setzen.
Wie im Schwarzwald: Im Bergdorf Toyama ist die Zeit stehen geblieben - die meisten Häuser sind 100 bis 200, das älteste sogar 400 Jahre alt.
Hart am Felsen: Die Halle des Sanbutsuji-Tempels in Tottori befindet sich in einer natürlichen Höhle auf halber Höhe am Berghang. Erbaut in der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts, gilt sie heute als nationales Kulturdenkmal.
Wie von Christo: Es handelt sich hier aber nicht um ein modernes Stoffkunstwerk, sondern um den Zugang ins Innere des Fushimi-Inari-Taisha-Schreins in Kyoto. Jedes einzelne der eng hintereinander stehenden Tore wurde dem Gott des Handels als Dank für gute Geschäfte gestiftet.
Rätselhaftes Bauwerk: Kloster? Wohnanlage? Hotel? Alles falsch: Dies ist das erst vor 27 Jahren errichtete Rathaus der Stadt Okinawa. Offene Korridore und Terrassen verbinden die Büros miteinander.
Eleganz des 17. Jahrhunderts: Die Anlage der kaiserlichen Villa in Kyoto bot die Kulisse für den durchästhetisierten kulturellen Lebensstil der alten Dynastien.
Quelle: manger magazin
Ich bin immer wieder von der Architektur in Japan begeistert :wow: